2011 · La Place Royale (Der Königliche Platz) · Corneille · Vigner (DE)
Pierre CORNEILLEs LA PLACE ROYALE, ein frühes Werk über die Jugend aus dem Jahr 1634, ist gewissermaßen die Geburtsstunde der Académie.
La Place royale beginnt mit dem ratlosen Alidor, ratlos, weil ihn die Liebe nicht nur nicht Herr seiner selbst sein läßt und ihn nicht nur seiner Gleichgültigkeit sondern auch seiner Unabhängigkeit beraubt hat:
"Ich suche die Freiheit in der Gefangenschaft.." [1]
Platz für die Jugend
"Es ist, als wäre es unausweichlich, dass ein Mann - theatralisch, unzuverlässig, verschlagen, bis zur Extravaganz ungewöhnlich - sich ein für allemal einen Platz auf der Bühne der modernen Welt erobert, auf diesem 'königlichen Platz', der Bühne, die quasi im Sinne der sozialen Gerechtigkeit dem Publikum Vergnügen bereitet und es gleichzeitig betreten macht. Denn, wenn die Rolle des Alidor auch für Freiheit und freiwillig gewählte Einsamkeit steht, wenn er auch die Idee vertritt, dass es so etwas wie auf sich selbst gerichtete Liebe und Leidenschaft gibt, die mehr ist als nur Eigenliebe, so zeigt dies auch, dass der Wille zu herrschen zugleich Festung und Refugium sein kann, zugleich Sieg und Notlösung, Freizügigkeit und Todsünde. Wir haben es also mit einem Freigeist des Theaters zu tun.
Zwischen 1629 und 1635 schrieb Corneille sechs Stücke, die ihn zum besten Komödienautor seiner Epoche machten - und zu einem der wichtigsten Textlieferanten für die Schauspieltruppe des Mondory, die am Théâtre du Marais spielte: Mélite, La Veuve, La Galerie du Palais, La Suivante, La Place royale und l’illusion comique ließen ihn zu einem modernen Terenz werden, und das lang vor Molière. Das Neue an seinen Stücken war, dass Corneilles junge Bühnenfiguren nicht mehr jene sind, die sich den Heiratsplänen widersetzen, die ihr Vater für sie geschmiedet hat, und sich zum großen Vergnügen der Zuschauer mit ihren Dienern verbünden, um ihre eigenen Pläne zu verwirklichen und finanzielle Probleme zu überwinden. Nein, Corneilles Personen sind erwachsen, sie nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand und spielen ihre Rolle virtuos. Der Autor will nicht länger im Sinne des Aristoteles in seinen Komödien Schurken und Personen zweifelhaften Charakters karikieren, sondern eine 'junge', 'moderne' Handlung erschaffen, die um eine geplante Heirat kreist, um Hindernisse, die es zu überwinden gilt, eine Handlung voll von Missverständnissen, 'Wie-Du-mir-so-ich-Dir', Trug und sogar Schurkereien von seiten der betroffenen jungen Leute selbst. Bei Corneille kann nur das Theater diesem Sammelsurium von Widersprüchlichkeiten Leben einhauchen, nur das Theater kann sich weigern, eine - die eine - Lösung zu suchen, und statt dessen verschiedenste Lösungen anbieten, und den jungen Leuten die Wahl lassen zwischen einer - nicht unkomischen - traditionellen und der guten Sitte entsprechenden Ehe, dem melodramatischen Rückzug ins Kloster und - bizarrerweise - der Flatterhaftigkeit und Libertinage. Corneille stellt sich nicht auf die Seite des jungen Paares, auch nicht auf jene der zukünftigen Nonne Elvira, noch auf jene des angehenden Don Juan - er überlässt seine Personen sich selbst und stellt lediglich fest, dass einzig und allein das Theaterstück obsiegt, indem es das Interesse seiner Leser und Zuschauer weckt."
CHRISTIAN BIET
"Einen Alexandriner zu deklamieren ist weder Prosa noch Musik." [2]
"Ein Vers ist die visuelle Form eines Gedankens." [3]
"Ein Gedicht lesen ist eine Zeremonie. Das ist mehr als nur ein Werturteil (ein "ästhetisches Urteil"). Ein Gedicht, das mit 'O Tod...' beginnt: genug um das Denken des gutwilligen Lesers in eine bestimmte Richtung zu lenken, ihm eine bestimmte Haltung zu suggerieren, so wie es körperliche Haltungen gibt (ob diese Posen nun konventionell oder natürlich sind, ist irrelevant, kein echtes Problem). Von Anfang an, meist schon beim ersten Vers, weiß der Leser worum es geht. (Wenn ich als Beispiel hier den Anfang 'O Tod...' gewählt habe, so geht es nicht so sehr um das Wort 'Tod' - das das Thema ja bereits näher definiert - sondern um das 'O', den Schlüssel, der den Zugang zum Gedicht erschließt, während das Wort 'Tod' sozusagen das Schloss darstellt. Das 'O' ist weniger explizit, noch müssen wir warten, erwarten, vielleicht ein "Oh wie sehr..."). Der Alexandriner ist nicht mehr, was er einst war. Im Hier und Jetzt ist er es, der den Dichter in die Nähe der allseits bekannten Dichter der Vergangenheit rückt, während er früher nichts mehr als eine Verführung war für ein Publikum, für das er etwas Neues darstellte."[4]
"Der Rahmen ist geschaffen für ein Ensemble von Schauspielern aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Sichtweisen, die längere Zeit zusammenarbeiten sollen - wenn auch weniger lang als seinerzeit Platons Schüler in dessen Akademie: Nehmen Sie Aristoteles, der zwanzig Jahre blieb, oder auch das in Platons 'Politeia' dargestellte Bildungsprogramm, demzufolge das Studium der Dialektik wohl kaum vor dem fünfzigsten Lebensjahr abgeschlossen werden konnte, wobei nur die zähesten unter seinen Schülern unter Umständen das Ziel ihres jahrelangen Strebens erreichten: die Vision des Guten. Um den Vergleich weiter voranzutreiben: die Académie von Lorient befasst sich mit der systematischen Arbeit an drei Stücken, und die Rolle des Gründers und Regisseurs besteht darin, Probleme aufzuwerfen - nicht theoretische Probleme, wie sie bei den Platonikern zur Diskussion standen, sondern Probleme der Aussprache, der Versform, der Wortbedeutungen, der Bewegung auf der Bühne, der Gestik... Ein Zeitpunkt erscheint mir besonders wichtig für die Entstehung und das Bestehen der europäischen Akademien, und es ist wichtig, dass er mit der Entstehung des ersten Theaterstücks zusammenfällt, das Éric Vigner für seine Académie gewählt hat, La Place Royale: das Grand Siècle, das Klassische Zeitalter, das 17. Jahrhundert. Das Überschreiten der Grenzen zwischen Stilen, Fragestellungen, Beunruhigungen, die Begegnung dieser jungen Menschen in ihrem gemeinsamen Arbeiten an Texten, die so viele Fragen aufwerfen, wird wohl eine ähnliche Wirkung haben wie das Aufeinanderprallen der Steine, das in Platons Metapher die Voraussetzung für die Entstehung des Wahrheitsfunkens ist. Der Name, den die Akademie für diesen Prozess aus der Praxis des Dialogs ableitete, gibt Zeugnis von Platons Genie: Dialektik."
JEAN-CLAUDE MONOD
"Alidor, tu consens qu'un autre la possède !
Tu t'exposes sans crainte a des maux sans remède !
Ne romps point les effets de son intention
Et laisse un libre cours à ton affection :
Fais ce beau coup pour toi : suis l'ardeur qui te presse,
Mais trahir ton ami ! mais trahir ta maitresse !
Je n'en veux obliger pas un à me haïr
Et ne sais qui des deux, ou servir, ou trahir.
Quoi ! je balance encor, je m'arrête, je doute !
Mes résolutions, qui vous met en déroute ?" [5]
© Photographie: Alain Fonteray
Zusammenfassung der Texte: Jutta Johanna Weiss
Übersetzung aus dem Französischen: Herbert Kaiser
© CDDB-Théâtre de Lorient