1997 · Toi cour, moi jardin · Rebotier · Vigner (DE)

Titre friendly: 
Du Oper, ich Ring
Sous-titre: 
Rebotier · Vigner
Datum: 
1998

1997 produziert Vigner am CDDB: TOI COUR, MOI JARDIN (Du Oper, ich Ring) von JACQUES REBOTIER mit dem Ensemble SILLAGE aus Brest - PHILIPPE ARRI-BLACHETTE, ISA LAGARDE, DIDIER MEU, SÉBASTIEN ROUILLARD, ÈVE PAYEUR, VINCENT THOMAS und ARTHUR NAUZYCIEL. Es ist das erste Mal, dass Jacques Rebotier eines seiner Werke einem Regisseur zur Inszenierung überlässt.

"Sechzehnter Juni. In einem Theater. Auf der Bühne eine gewaltige Zunge. Ich spüre sie, als füllte sie meinen Mund aus. Das Theater ist mein Mund. Der Vorhang meine Zähne. Die Hänger mein Gaumen, und ganz hinten das Zäpfchen; die seitlichen Kulissen Harlekins Frackschöße, die vorspringende Vorderbühne seine Nase. Ich stelle mir Klang-figuren vor, die die Bühne bevölkern: Lippenlaute - ‚m’, ‚b’, ‚p’ - ganz vorne an der Rampe; ‚t’ und ‚d’ auf der Vorbühne, wo auch ein paar gerollte ‚r’ sitzen, Überbleibsel der alten Bühnensprache, in der die Spitze der Zunge den Zahnansatz berührt; Nasale hoch oben in den Zügen; ein ‚l’, bucklig, Klang triefend von allen Seiten; hinten das ‚k’ und ‚g’ sowie das ‚r’ des modernen Französisch, guttural am Schlund röchelnd. Wörter als das aufgefasst, was sie sind: Personen der Handlung."  [1]

"Ich interessiere mich seit jeher für den Wortklang, für die Musikalität des gesprochenen Wortes… bis zum Schrei, dem durchdringenden Schrei des Ernesto in LA PLUIE D’ÉTÉ, dem Todesschrei von Martine Chevalier, dem langgezogenen Lustschrei des BAJAZET; die Darsteller in BRANCUSI CONTRE ÉTATS-UNIS versuchten, die Partitur der Klänge in der Rhetorik und in der Sprache des Gesetzes aufzuspüren. In Jacques Rebotier habe ich einen Künstler kennengelernt, für den eben diese Arbeit die erste und wichtigste Aufgabe ist. Er arbeitet mit dem sprachlichen Geflecht von Alltagsausdrücken und erforscht damit die kleinsten bedeutungslosen Augenblicke des Alltagslebens. Es ist amüsant, diese Sprache zu hören und sie in jeder kleinen Wendung zu entdecken, als hörte man sie das erste Mal."
ÉRIC VIGNER

"Poesie ≠ poiein, tun/machen
           = machen lassen
machen lassen (poiein-poiein) und machen x machen = machen2
machen + lassen = weniger machen
≥ nichts machen
UND NICHTS MACHEN."
"Schaffen, knapp verfehlen."
"Poesie = Sprache, die aus sich heraus spricht 
             = Sprache, die sich um sich selbst dreht
             = Sprache aller."
[1]

"Man sagt, Musik sei eine Sprache. Ja. Doch eine unübersetzbare Sprache, eine Botschaft ohne Sinn. Seit Hanslick wissen wir, auf welche Weise Musik sich selbst Bedeutung verleiht. 
Ein Vergleich: die Sprache der Wissenschaft tendiert zur Eindeutigkeit -sie vereindeutigt.
Die Sprache der Poesie umschmeichelt jedes Wort im Sinn eines Scheidewegs der Bedeutungen - sie vermehrdeutigt
sie gleichdeutigt.
Und die Musik ?
Unendlichdeutigt sie ? Undeutigt sie?
Sie deutigt."
[1]

"Schwarzes Loch.
Nicht die Musik selbst sondern die Konturen, die sie im Raum zeichnet,
und jenseits ihrer Konturen im Raum.
Negative Musik. Musik als Leere.
Für eine Musik, die für das Gehör all das ist, was sie nicht für sich selbst ist, eine umgestülpte Musik, eine Musik eigenen Gepräges. 
Ich nehme alles weg, sagte Rodin, was überflüssig ist."
[1]

"Dieses Gefühl Valères im Verlauf der Proben – dass das Stück schon gespielt worden sei und dass man es jetzt von hinten nach vorn spiele. 
Das ist zweifellos dadurch zu erklären, dass Proben repetitiv sind, und im Alltag heißt ‘repetieren’ wiederholen, also etwas wieder tun, was schon getan worden ist -
doch in der künstlichen Zeit der Bühne bedeutet repetieren etwas erneut - oder auch etwas Neues? – tun, das noch nicht getan worden ist.
(Das ist auch der Grund für die (Halb)-Depression, die herrscht, wenn alles vorbei ist, wenn die Zeit wieder auf eigenen Füßen steht, so als ob nichts geschehen wäre)."
[1]

[1] JACQUES REBOTIER, LE DÉSORDRE DES LANGAGES (Sprachunordnung), 3, 15, 28, 6, 16, 26, Les Solitaires Intempestifs, 1998, Auszug in Deutsch von HERBERT KAISER

 

© Photographie: Alain Fonteray
Zusammenfassung der Texte: Jutta Johanna Weiss
Übersetzung aus dem Französischen: Herbert Kaiser
© CDDB-Théâtre de Lorient

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