1994 · Reviens à toi (encore) · Motton · Vigner (DE)
"Die Zukunft, die vor mir lag, ist schon Vergangenheit,
ohne je Gegenwart gewesen zu sein." [1]
REVIENS À TOI (ENCORE), LOOKING AT YOU (REVIVED) AGAIN von GREGORY MOTTON, wird am 4. Oktober 1994 an der Scène Nationale d’Albi erstaufgeführt, es spielen MARILÙ MARINI, BRUNO RAFFAËLLI, ALICE VARENNE und PATRICK MOLARD (Sackpfeife). Es folgt eine Frankreich-tournée und das Stück wird im Rahmen des Festival d'Automne (Pariser Herbstfestival) 1995 am Théâtre National de l'Odéon wiederaufgenommen.
"Meine Arbeit ist immer und überall zutiefst mit der Wirklichkeit des Ortes verbunden, mit seiner ihm eigenen Magie, so dass ich mich stets an den Grenzen bewege, im zeitlich Unbestimmten, im Dazwischen - zwischen Realität und Fiktion, dort wo die Poesie zuhause ist... REVIENS À TOI (ENCORE) - KOMM ZURÜCK ZU DIR (NOCHMALS) - spielt in einem Theater à l'italienne - einem leeren, aufgelassenen Theater, voll magischer Erinnerungen, die flüsternd an des Zuschauers Ohr dringen wie das Rascheln von Seide, einem Raum voll Samt und gleißendem Gold. Odéon, Athénée - Namen, die Träume wachrufen. Nacht. Geheime Zeremonien, zu denen Du geladen bist. Drei Wesen die - für sich selbst - Figuren ihrer eigenen Geschichte spielen, Fragmente ihrer Lebensgeschichte, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Suche, Wanderung - zwischen Realität und Fiktion, zwischen Leben und Tod, zwischen Traum und Wirklichkeit. Die Bühne als Welt, Madame James auf dem Balkon, Abe am Rand der Bühne, die Arme ausgebreitet. Wo steht das Theater heute? In welcher Form kann es das Publikum von heute erreichen ?"
ÉRIC VIGNER
Dem Schauspielertrio fügte ÉRIC VIGNER eine vierte, frei erfundene Person hinzu, den Dudelsackspieler, PATRICK MOLARD. "Er spielt gewissermaßen dieselbe Rolle wie der Flötenspieler im deutschen Märchen: Er lässt Dinge entstehen und im Dunkel wieder verschwinden." (ÉV)
"In England wurde REVIENS A TOI (ENCORE) von Freunden Mottons in der rauchgeschwängerten Atmosphäre eines Pub inszeniert. VIGNER tauscht keineswegs das Gold des Odéon gegen eine schmutzige Bar, er stellt jedoch das traditionelle Theater à l'italienne mit seinem Bühnenbild auf den Kopf. In Frankreich wurde MOTTON von Nicole Brette entdeckt und von Claude Régy erstmals aufgeführt (CHUTES, LA TERRIBLE VOIX DE SATAN). Für ÉRIC VIGNER ist das œuvre von GREGORY MOTTON ein kostbares, einmaliges Etwas, das sich jeder Definition entzieht. REVIENS A TOI (ENCORE) - dieser rätselhafte Titel schwebt über den Köpfen der drei Personen, die gewissermaßen das Versagen der neunziger Jahre darstellen - eine "explodierende" Dreieinigkeit. Abe treibt sich auf den Straßen herum und lernt dort ein seltsames Mädchen kennen, die junge F.P., sie will mit ihm eine Familie gründen. In der Entfernung wacht die dunkle Frau am Fenster, die Mutter Abes, von ihm verspottet. Die Entfremdung von ihren Kindern zerreißt ihr das Herz."
CAROLINE JURGENSON, Le Figaro, 2. Dezember 1994
FP: Liebst Du mich ?
Abe: Ob ich liebe ? [1]
"Der Künstler muss in das grenzenlose Unbekannte der menschlichen Seele eindringen, dem Selbstverständlichen die Stirn bieten und tief ins Herz vordringen, in dessen Tiefe die Dinge liegen, deren Sinn verborgen bleibt. Er kann nicht wissen, was er dort antreffen wird, und muss sich des Urteils enthalten, unlogisch und starrsinnig sein."
GREGORY MOTTON
"Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege." Diese Klage Christi ist, so scheint es mir, ein Schlüssel zu G. MOTTONs Stück… F.P. wird mehrmals mit einem Fuchs verglichen und die Dunkle Frau sagt zu Abe: "Du würdest wünschen, ich sei ein kleiner Vogel auf deinem Fensterbrett." Der Balkon ist dann wohl dieses Nest, bereit für das Auffliegen des Vogels, zu dem es nicht kommt (nicht gekommen ist und nie kommen wird). … Abe, Abraham, der Herumirrende der Genesis, wird zu guter Letzt sein Haupt (auf einen Koffer!!) betten. Die drei Personen des Stücks sind Herumirrende – F.P. auf Grund ihres Namens, die Dunkle Frau auf Grund ihrer Art. Und die Bühne ist der Fixpunkt auf ihrer Irrfahrt."
Auszug aus einem Brief von PÈRE DAVID (einem Benediktinermönch), an ÉRIC VIGNER im Rahmen ihres Meinungsaustausches über GREGORY MOTTONs Stück. 10. Oktober 1994
"Von allen Stücken Mottons ist REVIENS À TOI (ENCORE) vielleicht jenes mit den meisten Anspielungen auf die Bibel. "Weint nicht über mich, weint über Euch selbst" ruft Abe. Vigner vermeidet es, allzu sehr den Jammer des irdischen Daseins auszuwalzen, hält sich fern von den frommen Bildern des Sozialrealismus, fern auch von religiöser Allegorik, und verkündet die Botschaft des Autors unaufdringlich, in einer Mischung von Humor und Distanz tritt alles zutage."
RenÉ Solis, Libération, 7. Oktober 1994
© Photographie: Alain Fonteray
Zusammenfassung der Texte: Jutta Johanna Weiss
Übersetzung aus dem Französischen: Herbert Kaiser, Jutta Johanna Weiss
© CDDB-Théâtre de Lorient