2003 · ”... Où boivent les vaches.” · Dubillard · Vigner

Titre friendly: 
"...Wo die Kühe drinken."
Sous-titre: 
Dubillard · Vigner
Datum: 
2003

Vigner hat eine besondere Beziehung zu den zwei Autoren, die am Anfang seiner Karriere standen: MARGUERITE DURAS und ROLAND DUBILLARD. Am 7. Oktober 2003 eröffnet er die erste Spielzeit des neuerbauten Grand Théâtre in Lorient mit ROLAND DUBILLARDs "…OÙ BOIVENT LES VACHES." ("...Wo die Kühe drinken.") in Hinblick auf das Dubillard-Festival am Théâtre du Rond-Point im April 2004 in Paris.

Für diese Inszenierung sammelt Vigner eine Familie von Schauspielern um sich, von denen einige schon mit ihm gearbeitet hatten: HÉLÈNE BABU (La pluie d’été 1993), JEAN-DAMIEN BARBIN (Rhinocéros 2000, La Bête dans la Jungle 2001), PIERRE GÉRARD (La Place Royale 1988) und JUTTA JOHANNA WEISS (Marion de Lorme 1998, Rhinocéros 2000, La Bête dans la Jungle 2001). Zu der "Familie Vigner" stossen vier weitere Darsteller: MICHA LESCOT (in der Hauptrolle, die Dubillard selbst gespielt hatte: Félix), MARC SUSINI, JEAN-PHILIPPE VIDAL und THIERRY GODARD.

"Ich trat als junger Mann durch Zufall in das Haus von Roland Dubillard, durch die Hintertüre sozusagen, und ich richtete mich dort ein. Ich stieß auf Dubillard in der Bretagne, im regionalen Konservatorium, wo zwei meiner Freunde eine Szene aus La Maison d’Os (Das Knochenhaus) spielten -ich verstand absolut nichts. Doch ich war fasziniert, das Stück ließ mich nicht mehr los, und ich arbeitete daran für meine Aufnahmeprüfung am Pariser Konservatorium. Langsam wurde meine Faszination zu einer Obsession, und so wählte ich den Text auch für meine Abschlussprüfung am Pariser Konservatorium. Einige Jahre später, als ich mich auf dem Weg befand, ein Mann zu werden, der seine Kindheit und ihre Spielplätze nicht vergessen hatte aber seine Sehnsüchte darlegen wollte, ohne nachzugeben, einige Jahre später kam mir ‚Das Knochenhaus’ wieder in den Sinn. Es wurde seit dreißig Jahren nicht mehr aufgeführt. Dann aber beschloss die blutjunge COMPAGNIE SUZANNE M., in das Haus einzuziehen und dieses Meisterwerk der dramatischen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sein eigen zu machen. Das Motto von SUZANNE M. war Dubillards befreiende Feststellung ‚Man sollte besser so sprechen wie man möchte als wie man sollte, anderenfalls werde ich schweigen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.’ Dieser Text erschien uns als Grundlage für das Neue Theater, das wir errichten wollten - ein dichterisches Manifest unserer Absicht, mittels des Theaters die Zukunft zu erfinden. Öffnet man das Buch, taucht man unvermittelt in die Tiefen seines Ichs ein. Da liegt die Begegnung mit Dubillard, oder auch nicht. Erklärung gibt es keine. Verstehen kann man nur gefühlsmäßig, er entzieht sich jeder reduktionistischen Analyse, er nimmt den Leser ganz und gar gefangen oder gar nicht. Ebenso ging es mir mit Marguerite Duras. Ich hatte das große Glück, sie beide persönlich kennen zu lernen. Es ist wie eine Familiengeschichte - die Familie Dubillard und die Familie Duras - oder besser gesagt, eine irreversible, dauerhafte, unmittelbare und tiefe intime Beziehung zu ihrem (seinem) Werk und dem eigentlichen Wesen ihrer (seiner) persönlichen Beziehung zur Welt. Eine Beziehung, die sich wie über ‚Computer-Links’ weiterentwickelt: Dubillard vor der Entwicklung des Internet; Gefühle, die sich weiterentwickeln, sprunghaft, in Fragmenten, Teilerinnerungen, Gefühlen, Kollisionen, der Ineinanderfügung ohne vordefinierte Logik am Anfang der Arbeit, nur ein Gefühl, das den Drang zu schreiben auslöst, ein Strömen, ohne programmiertes Ende, ein Kommen und Gehen, ohne zu fragen woher und wohin, eine Vielzahl von exemplarischen und selbständigen Punkten, die sich zu einem Ganzen zusammenschließen wie zum Auge einer Fliege mit seinen zahllosen Facetten. Dubillards Werk weiht künstlerisch ganze Leben ein - das meine, aber auch das jener Kinder dieses ‚Hauses’, die auch heute noch wissen, dass Schauspielen Spiel ist, jener, die die Gärten ihrer Kindheit nicht vergessen haben."
ÉRIC VIGNER

"Es ist Roland Dubillards zweites Meisterwerk, nach dem KNOCHENHAUS. Ein tragikomisches Stück über die Kunst, auch die Kunst des Lebens, des Mensch-Seins. Es könnte für ihn sein, was l’ILLUSION COMIQUE für Corneilles Werk ist oder DIE RIESEN VOM BERG für Pirandellos Œuvre, eine Fantasie, die Fragen über das Leben und die Notwendigkeit der Kunst vermischt, geschrieben in einer bemerkenswerten, unangepassten Sprache, die in unserer Zeit ihresgleichen nicht hat - ein seltener, kostbarer Schatz. 1972 vom Renaud-Barrault-Ensemble für das Pariser Herbstfestival aufgeführt - unter Mitwirkung von Roland Dubillard selbst und in der Regie von Roger Blin, kam OÙ BOIVENT LES VACHES 1983 am TNP unter Roger Planchon erneut heraus. Dann sollte diese Posse zwanzig Jahre lang unverdient von allen Bühnen verschwinden."
ÉV

"Ich kann nicht schreiben - ich hab’ einen Schreibkrampf. Ihr Ballett, Ihren Kinofilm, Ihre explodierenden Ziegen, Ihr Ich-weiß-nicht-was, Ihr Theaterstück - schreiben Sie’s doch selbst. Ich bin keine Feder, und wenn doch, dann nehmen Sie mich in die Hand. Ich selbst rühre keinen Finger. Und jetzt, eben jetzt will ich, dass etwas geschieht, nicht nächste Saison im Theater. In welchem? Wenn möglich in einem subventionierten." [1]

""…OÙ BOIVENT LES VACHES." ("... WO DIE KÜHE TRINKEN.") ist mein wichtigstes Stück. Es geht um die Zweifel eines Dichters, der erkennt, dass der Ruhm Schall und Rauch ist, ein Machwerk, errichtet von der Welt, der Kultur, seiner Mutter, seinem Sohn, seiner Frau, allen Akademien... Dieser Welt versucht der Dichter zu entfliehen. Ob Stadt, ob Land - alles ein Schwindel, Betrug. Der Titel, ein Zitat von Rimbaud, will besagen: ‚es gibt kein Entrinnen, ich bin immer da’. Ein Stück über das Wasser, das dahinfließt wie das Leben."
Roland Dubillard

"Nein! - Ich bin nicht geboren. Kann mich nicht erinnern. Was man alles erzählt - bedeutet nichts. An einem Ort - nein! Ich bin nicht an einem Ort - in einer Grotte, in einem Wohnhaus - geboren, nein! Nicht an einem bestimmten Datum, im neunzehnten oder zwanzigsten Jahrhundert! Was für mich zählt ist das "Jetzt". Ich bin da - voilà - schaut mich an. Habt ihr mich gesehen? Nützt die Gelegenheit. Ich bin nicht geboren, ich bin. Wenn euch das nicht interessiert, könnt ihr ja gehen, alle, wenn’s euch nicht gefällt. Ihr braucht es nur zu sagen." [1]

[1] ROLAND DUBILLARD, "… OÙ BOIVENT LES VACHES. ", Gallimard 1973, Auszug in Deutsch übersetzt von HERBERT KAISER

 

© Photographie: Alain Fonteray
Zusammenfassung der Texte: Jutta Johanna Weiss
Übersetzung aus dem Französischen: Herbert Kaiser
© CDDB-Théâtre de Lorient

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