2001 · La Bête dans la Jungle · James · Lord · Duras · Vigner (DE)
"Schreiben ist nicht Geschichten erzählen.
Es ist das Gegenteil von Geschichten erzählen.
Es ist alles gleichzeitig.
Es ist eine Geschichte und die Abwesenheit dieser Geschichte erzählen.
Es ist eine Geschichte durch ihre Abwesenheit erzählen."
M.D.
2001 widmet sich Vigner erneut dem Werk von MARGUERITE DURAS, diesmal mit einem Diptychon:
Am 17. Oktober 2001 inszeniert er LA BÊTE DANS LA JUNGLE, ihre Bearbeitung des Stücks von JAMES LORD nach einer Novelle von HENRY JAMES. Die Inspiration zum Bühnenbild bezieht Vigner von zwei literarischen Genres: Novelle und Drama, von zwei Sprachen: Englisch und Französisch und von den drei Autoren: DURAS, LORD und JAMES einer Vielschichtigkeit markanter Persönlichkeiten, die ihre starken Spuren hinterlassen haben.
JAMES LORD, der in Paris lebte, galt als einer der scharfsinnigsten Chronisten der modernen Kunst. Er wurde durch seine monumentale Biographie von ALBERTO GIACOMETTI bekannt, es folgten Biographien von BACON, PICASSO und DORA MAAR, in deren Kreis Lord persönlich verkehrte. LA BÊTE DANS LA JUNGLE blieb, als sein einziges Werk für das Theater, unveröffentlicht. Lord hielt sich an die Struktur der Novelle von Henry James, erweiterte sie jedoch um eine bildliche Dimension, das Porträt des ‚Vierten Marquis’ von VAN DYCK. In den sechziger Jahren erarbeitete er eine französische Version mit Marguerite Duras, unvollendet. Erst zwanzig Jahre später greift Duras den Stoff wieder auf und gibt ihm eine neue Form. Sie verändert die Struktur in sechs ‚Bilder’, einen Prolog und einen Epilog. Ihr Text läßt Begriffen wie ‚Zeit’ - ‚Gedächtnis’ und ‚Geheimnis’ eine andere Dimension zukommen. Eric Vigner bezaubert mit seinem imaginären Museum, einer Reise durch die Geschichte der Malerei - dem Quattrocento - der Erfindung der Perspektive bis hinein in die Moderne und die zeitgenössische Kunst.
"Es geht nicht um irgendein Thema das dargestellt wird. Das Thema der Malerei, das ist die Malerei selbst. Das Thema des Theaters, das ist das Theater selbst, sein Unmässigkeit, seine Wirkung, seine Vorstellungskraft."
ÉRIC VIGNER
Während der gesamten Aufführung befindet sich der Zuschauer auf der Reise durch eine Geschichte, durch mehrere Geschichten, auch durch die Geschichte der Malerei. Vigner versucht, alle möglichen Deutungen zwischen Realität und Illusion zu erschließen, ohne je eine Antwort zu geben. Er lädt sein Publikum ein, diese Bilder, diese Räume zu durchwandern, über sie hinaus zu gehen, sie zu erweitern, den eigenen Weg zu suchen, um die eigene Geschichte, die eigene Intimität zu finden.
Vigner entwickelt ein szenographisches Verfahren mit Bildern in Bewegung und variabler Schärfentiefe. Eine Landschaft FRAGONARDs auf einem Bambusvorhang verschleiert die Bühne. Der dahinterliegende Raum läßt eine Galerie VAN DYCKs Porträts, Farben und schemenhafte Umrisse erkennen, die sich schließlich vor den Augen des Zuschauers auflösen.
Er wählt zwei Schauspieler als mythisches Paar, wie man es auf der Kinoleinwand treffen mag, oder wie ein Duo in der Welt der Musik: JEAN-DAMIEN BARBIN (Rhinocéros) und JUTTA JOHANNA WEISS (Marion de Lorme, Rhinocéros). In diesem Stück sind sie ‚John und Catherine’, ein Mann und eine Frau. Sie könnten ebenso gut aus einem Roman des neunzehnten Jahrhunderts stammen, oder aus der Oper, aus Geschichten und Legenden oder aus Alice im Wunderland. Sie könnten auch alternde Stars der Music Hall sein oder ganz einfach ein Paar von heute.
"Hinter einem Bild ein weiteres Bild und, wenn man hindurchsieht, noch eines und dahinter wieder eines, bis man schließlich die Bilder loslässt und sich damit abfindet, einfach da zu sein, in einem weißen Raum, befreit von allem Schein."
ÉV
"Wir sind tränenüberströmt, denn auch wir haben etwas verstanden. Was, ist schwer zu sagen. ‚Spuren’, einen ‚Hauch von Nichts’, ‚flüchtige Gefühle’. Da ist keine Geschichte, nur die Erinnerung an ein weißes Quadrat, an die Kunst des Seiltänzers. Mit zwei Schauspielern und einem lyrischen Bühnenbild - gespannt wie die Saite einer Leier - heftet Vigner an dieses Nichts eine neue Wirklichkeit. Was für ein Geschenk!"
SOPHIE KHAN, Cassandre, mars-avril 2002
" - Manche Stücke hinterlassen unauslöschliche Spuren, setzen Zeichen, schaffen Bilder, die durch bestimmte Ereignisse wieder an die Oberfläche gerufen werden. Ein Bleibendes, ein Erbe, das man nie vergisst. - Die Darsteller haben, glaube ich, das stärkste, wenn nicht sogar das schönste, unentbehrlichste Schauspiel der jüngsten Zeit geschaffen, setzt es sich doch in seiner Zeitlosigkeit über den Obbligato-Rhythmus der Chroniken hinweg."
CHRISTOPHE DESHOULIÈRES
LA BÊTE DANS LA JUNGLE steht in Lorient einen Monat lang auf dem Spielplan, und wird von Saison zu Saison wiederaufgeführt, wie etwa am L'Espace Go in Montreal (2002) und im Eisenhower Theater des Kennedy Centers in Washington (2004).
© Photographie: Alain Fonteray
Zusammenfassung der Texte: Jutta Johanna Weiss
Übersetzung aus dem Französischen: Herbert Kaiser
© CDDB-Théâtre de Lorient