2008 · Dans la solitude des champs de coton · Koltès · Vigner (DE)
"Wenn Sie zu dieser Stunde und an diesem Ort draußen unterwegs sind, dann darum, weil Sie etwas wünschen, was Sie nicht haben, und dieses Etwas kann ich Ihnen beschaffen; denn wenn ich seit längerer Zeit und für längere Zeit als Sie an diesem Ort bin, und wenn selbst diese Stunde, die Stunde des wilden Umgangs der Menschen und Tiere untereinander, mich nicht von ihm vertreibt, dann darum, weil ich dasjenige habe, womit sich der Wunsch desjenigen, der an mir vorübergeht, befriedigen läßt, und es ist wie eine Last, die ich loswerden muß an jedes Wesen, Mensch oder Tier, das an mir vorübergeht." [1]
Im April 2008, inszeniert Vigner IN THE SOLITUDE OF COTTON FIELDS (In der Einsamkeit der Baumwollfelder) von BERNARD-MARIE KOLTÈS am 7 Stages Theatre in Atlanta, mit den amerikanischen Schauspielern DEL HAMILTON und ISMA'IL IBN CONNER. IN THE SOLITUDE OF COTTON FIELDS ist das erste Stück eines Zyklus neuer Übersetzungen von BERNARD-MARIE KOLTÈS ins amerikanische Englisch. ISMA'IL IBN CONNER übersetzt im Rahmen des U.S. KOLTÈS PROJECT, eines der bedeutendsten Projekte künstlerischer Zusammenarbeit im zeitgenössischen Theater zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten.
"Vierzig Jahre nach der Ermordung MARTIN LUTHER KINGs (4. April 1968), legt VIGNER mit dieser Inszenierung die Bühne bar, um die Geschichte, oder besser die Geschichten von BMK und MLK auf den Brettern die die Welt bedeuten spielen zu lassen. Die Welt wird zur Bühne und in Frage gestellt (theatrum mundi), zwischenmenschliche Grenzen werden in Frage gestellt, Grenzen die, trotz der Menschenrechte, trotz des Endes der Apartheid, in den Vereinigten Staaten sowie auf der ganzen Welt immer noch Menschen und Völker voneinander entfernen." [2]
"IN THE SOLITUDE OF COTTON FIELDS nimmt die Begegnung zweier Männer unter die Lupe. VIGNER bearbeitet den Stoff gleich dem eines kurzen, aber sehr einprägsamen Films, der sich aus lauter Einzelbildern zusammensetzt. Die unzähligen Details und die inneren Monologe erinnern an Romanschriftsteller des „stream-of-consciousness“ wie JAMES JOYCE und VIRGINIA WOOLF, oder an zeitgenössische Miniaturisten wie NICHOLSON BAKER. Durch den Blick des Schriftstellers, der sich die Handlung zwischen zwei Menschen genau vor Augen führt, findet man hier reichlich Material - von der Liebesbeziehung bis zum Todeskampf zweier Soldaten auf dem Schlachtfeld."
CURT HOLMAN, Creative Loafing Atlanta
"Zwei Männer, deren Wege sich kreuzen, haben keine andere Wahl, als sich zu schlagen mit der Gewalttätigkeit des Feindes oder mit der Sanftmut der Brüderlichkeit." [1]
"Für die Inszenierung von LA SOLITUDE mit amerikanischen Schauspielern in Atlanta entwarf ÉRIC VIGNER die Umrisse eines Boxrings auf dem Bühnenboden. In diesem Stück erscheint KOLTÈS’ Sprache durch die Übersetzung ins Amerikanische überhöht, bereichert – bald hieratisch, bald rhythmisch, skandiert. ISMA’IL IBN CONNER, der Übersetzer des Textes und Darsteller des Dealers, spricht den Text, indem er das Gleichgewicht des Textes bewahrt, der zwischen poetischem Höhenflug und aggressiver Trivialität schwankt. Wenn man die beschwörende Kraft des Amerikanischen hört, denkt man wohl an KOLTÈS’ Aussage, er wolle für Schauspieler wie DE NIRO (den Boxer in MARTIN SCORCESEs Film RAGING BULL) schreiben, und daran, dass dieser Kampf an die Prügeleien von Straßengangs erinnert mit ihren bildhaften und rituell skandierten Wortgefechten, die den Gegner reizen sollen. Die Inszenierung von ÉRIC VIGNER beschwor die Mythologie des schwarzen Amerika und schuf ihr szenisches Abbild wie eine Musik mit stetig wiederkehrendem Rhythmus, wo der mögliche Tod eines Kunden nicht ausschließt, dass er wieder zum Leben erwacht. Mit seiner Kapuze und dem Rhythmus seiner Sprache gemahnt ISMA’IL IBN CONNER, der Darsteller des Dealers, an Cassius Clay, über den KOLTÉS eine unvergesslichen Text geschrieben hat: LE COUP FANTÔME."
SERGE SAADA, Alternatives Théâtrales, 1er trimestre 2010
"Der coup fantôme - Phantompunch - ist BERNARD-MARIE KOLTÈS’ Name für einen Boxhieb des legendären MOHAMMED ALI. Der Boxer setzte seine Schläge mit solcher Geschwindigkeit, dass der Zuschauer den Schlag selbst gar nicht sah, sondern nur, dass sein Gegner zu Boden stürzte, weshalb man ihn auch bezichtigte, betrügerische Absprachen getätigt zu haben. Beim coup fantôme ging es nicht um rohe Gewalt und Muskelkraft, sondern um Schlagkraft und Geschwindigkeit. Der Text von KOLTÉS gibt Zeugnis von dieser Kampfkraft, deren Ursprung nie sichtbar wird, wo die Position der Kämpfer und die Distanz zwischen ihnen in der Spannung des Textes wiedererstehen. Der coup fantôme ist die Verkörperung der Kraft literarischen Wollens: was geschrieben wird, wird nicht sofort gelesen, doch es trifft den Leser unvorbereitet." [3]
© Photographie: Alain Fonteray, John Nowak
Zusammenfassung der Texte: Jutta Johanna Weiss
Übersetzung aus dem Französischen: Herbert Kaiser
© CDDB-Théâtre de Lorient